Sa. Apr 20th, 2024

Tagesschau vor fast genau 20 Jahren

Jugoslawienkrieg und Deutschland war wieder wer

Heute vor 20 Jahren „bemühte“ sich Deutschland und die Rot-Grüne Regierung mit Joschka Fischer als Bundesaußenminister um „Frieden“ in Jugoslawien. Es war und bleibt eine der wichtigsten Zäsuren der Geschichte der Bundesrepublik: Deutschland führte wieder Krieg.

Der Titel der Tagesschau vom 8. März 1999 klingt 20 Jahre später wie Hohn, wenn man weiß, dass 16 Tage später die NATO – und damit auch Deutschland – mit einem Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien beginnen werden. Mit Aussagen wie „Auschwitz dürfe sich nicht wiederholen“, „Hufeisenplänen“ und anderen absurden Geschichten wurde der erste deutsche Angriffskrieg seit 1945 begründet und zwar von eben jenen, die sich als Friedens- und Menschenrechtsparteien gaben: Joschka Fischers Grüner Partei und der Sozialdemokratie an seiner Seite.

Und warum kam es zum Krieg? Jugoslawien weigerte sich einem Friedensvertrag zuzustimmen, der die Besetzung des Landes durch NATO-Truppen vorsah. Das Interesse des Westens war es nicht, für Frieden im Kosovo zu sorgen. Stattdessen hat das Militärbündnis drei Monate lang Industrien, Infrastruktur und Regierungseinrichtungen in ganz Jugoslawien bombardiert. Sogar Zivilisten wurden gezielt angegriffen.

So zum Beispiel am 16. April, als ein NATO-Angriff gezielt gegen eine Redaktion des serbischen Staatssenders RTS geflogen wurde. 16 Zivilisten starben bei diesem Kriegsverbrechen. Bis heute behauptet die NATO, dass Mitarbeiter*innen, die aus ihrer Sicht Propaganda verbreiten würden, keine wirklichen Zivilisten wären. 

In der Stadt Pančevo, aus der meine Familie stammt, wurden Chemie- und Petrochemiewerke bombardiert. Giftige- und krebserregende Stoffe gelangten dabei in das Grundwasser, die Flüsse und die Luft. Die Stadt wurde zeitweise durch eine giftige Wolke aus Chlorwasserstoff, Vinylchlorid, Schwefeldioxid und Phosgen umhüllt. Die Konzentration einiger Stoffe war so hoch, dass selbst die damalige Vorsitzende der Störfallkommission der Bundesregierung, Ursula Stephan, von chemischer Kriegsführung sprach – und wieder ein Kriegsverbrechen, dass die Grünen durch Außenminister Fischer außenpolitisch mit zu verantworten haben.

Am 30. April wurde der sogenannte „Avalski toranj“, das Belgrader Gegenstück zum Berliner Fernsehturm, zerstört. 19 Zivilisten starben dabei.

Letztendlich ermöglichte es die NATO mit ihrem Krieg überhaupt, dass sich der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević noch mehrere Jahre an der Macht halten konnte, denn ohne die Bombardierung und das Zusammenschweißen der Bevölkerung hinter der Regierung wäre er längst zum Teufel gejagt worden. Natürlich ging dem Konflikt eine nationalistische Politik serbischer (und einiger kosovarischer) Politiker voraus, bei dem die serbische Regierung z.B. die Autonomie der Vojvodina und des Kosovos einschränkten. Es gab vor 1999 schwere Verbrechen durch serbische Militärs und Polizisten an Kosovo-Albaner*innen und als Antwort darauf Terroranschläge durch die UCK. Für Sozialist*innen beides nicht hinzunehmen.

Doch all das hatte direkt nichts mit der Intervention der NATO in Jugoslawien zu tun. Die NATO hatte sich nach dem Ende des Kalten Krieges überlebt. Ihr Ziel war es ein Bedrohunszenario gegenüber dem ehemaligen Ostblock aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Doch der Warschauer Packt war weg, es gab ihn nicht mehr. Wozu also noch die NATO? Die NATO erfand sich in der Rolle des Weltpolizisten „neu“. Die „humanitäre Intervention“ als politische Handlungsoption war geboren. Man führte nicht Krieg, sondern Bomben brachten Frieden. Und das ganze an den Vereinten Nationen vorbei, ohne Mandat. 1999 war, mehr oder minder, der Anfang einer neuen NATO-Doktrin. 

Gleichzeitig suchte man sich auf dem Balkan seit 1991 viele willfährige Kleinstaaten zu schaffen. Der deutsche-, -europäische und us-amerikanische Imperialismus war sehr an der Zerschlagung Jugoslawiens gelegen. Der „neue Imperialismus“ der „neuen Bundesrepublik“, eigentlich das Phänomen, wovor die radikale Linke in den 90ern gewarnt hat. Und heute ist der Krieg in der Bundesrepublik Selbstverständlichkeit geworden: Die BRD ist global gesehen drittgrößter Waffenexporteur, größter Kleinwaffenexporteur der Welt und hat Rund um den Globus Soldaten in unterschiedlichen Militäreinsätzen – von Mali bis Afghanistan. „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“, ist ein vielzitierter Satz des damaligen sozialdemokratischen Verteidigungsministers Peter Struck. Auch 1999 war es keine konservative Regierung, die deutsche Soldaten soweit schickte wie seit 1945 nicht mehr. Es war eine vermeintlich linke. Vor allem die Grünen haben sich mit diesem Krieg ihrer ursprünglichen politischen Ziele und ihres eigentlichen Markenkerns – des Pazifismus – entledigt.

Mein Freund und Genosse Pavle Ilić hat letztes Jahr auf dem Marx is‘ Muss -Kongress einen Vortrag über die Lage auf dem Balkan gehalten und er schloss mit einem sehr wichtigen Punkt ab bzw. beantwortete die Frage, was man in Deutschland tun könne: Die Linke auf dem Balkan benötigt vor allem, dass wir in Westeuropa, Russland & Co. gegen imperialistische Bestrebungen „unserer Länder“ kämpfen. Denn der Imperialismus des Westens und Ostens ist es, der die Verbrechen und Verwerfungen auf dem Balkan überhaupt ermöglicht haben.

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