Fr. Apr 19th, 2024
Eine OP-Makske liegt auf dem Asphalt.

Corona und das Versagen des Neoliberalismus

„Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?“ – man könnte meinen, dass man genau dieses Lied aus den Räumen des Kanzleramts und der Staatskanzleien gehört hat, als die zweite Welle der Coronapandemie direkt vor der Tür stand. Den ganzen Sommer haben die Regierenden verstreichen lassen und keine ausreichenden (und auch einfach völlig falsche) Maßnahmen ergriffen, um sich auf diesen Augenblick vorzubereiten. Noam Chomsky hat recht wenn er sagt, dass das Coronavirus das „kolossale Versagen des Neoliberalismus“ zeigt.

Am 22. Oktober diesen Jahres „knackte“ die Bundesrepublik laut Robert-Koch-Institut die Zehntausender-Marke bei den Neuinfektionen: 11.278 Menschen infizierten sich am Vortag mit dem Virus (ohne „Dunkelziffer“). Zu lange hat die Bundesregierung zugeschaut und die aktuelle Pandemie ein Stück weit sogar verharmlost, anstatt konsequente, die Menschen schützende Maßnahmen zu ergreifen. Denn für die Bundesregierung und das Kanzleramt stand die Rettung der Profite der Großunternehmen stets an erster Stelle.

Kontaktsperren

Bereits seit der SARS-Epidemie 2003 wussten Wissenschaftler:innen, dass weitere Pandemien kommen werden, solange wir in kapitalistischen Produktionsverhältnissen leben. Nun trifft uns die zweite Welle der Coronapandemie noch weniger überraschend, als der Ausbruch zu Beginn des Jahres. Leider sind eine zweite Kontaktsperre oder ein Lockdown light nötig, weil die Bundesregierung den Sommer tatenlos verstreichen ließ. Nun steigen die Infiziertenzahlen (19.000 Neuinfektionen am 30.10), die Zahlen der Patient:innen, die auf Intensivbetten angewiesen sind (aktuell über 900) und die Todesfälle erneut (aktuell über 10.500).

Sind die Regelungen sowie die Hilfen, die die Bundesregierung aufgelegt hat, ausreichend? Im kommenden Lockdown light liegt der Fokus der Kontaktsperren vor allem im Freizeitbereich: Theater, Gaststätten, Fitnesscenter etc.

Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe bleiben unangetastet. Die Rettung des Eigentums der Großunternehmen um jeden Preis, ist das Ziel. Völlig egal ist dabei, ob die Maßnahmen helfen oder etwa überhaupt die richtigen sind. So gelten Schulen nicht als Coronahotspots, dabei zeigen Zahlen aus Kanada und Hamburg, dass Schulen zu den treibenden Kräften bei der Verbreitung des Virus gehören können. Schulschließungen sollen jedoch vermieden werden, damit auch ja alle zur Arbeit können, um so die Gewinne zugunsten weniger Aktionär:innen weiterhin aufrecht zu erhalten.

Solidarität statt Profit

Das Motto für den zweiten Lockdown light muss sein: Solidarität statt Bürokratie. Soloselbstständige müssen endlich an Hilfen kommen, die nicht nur die Betriebskosten abdecken. Inhaber:innengeführte (Klein-)Geschäfte müssen eine schnelle und unbürokratische Hilfe und Ausfallersatz erhalten, egal ob Döner-Imbiss, Kleiderladen oder Bäckerei.

Die lohnabhängig Beschäftigten müssen 100 Prozent Kurzarbeitergeld bekommen. Rettungspakete für Großunternehmen, wie Lufthansa oder ThyssenKrupp Steel, darf es nur geben, wenn gleichermaßen die demokratische Beteiligung sowohl der Belegschaft als auch der Gesellschaft gegeben ist. Des Weiteren müssen Kündigungen verhindert werden!

Auch Vermieter:innen, insbesondere Großvermieter:innen, müssen ihren Beitrag zur Coronakrise leisten und ihre Mieten deutlich senken. Bis zum Ende des Jahres 2021, und grundsätzlich auch darüber hinaus, darf es keine Räumungen wegen Mietrückständen geben. Mietmoratorien müssen in Mieterlasse umgewandelt und erweitert werden. Denn Mieten sind die höchsten Fixkosten sowohl für kleine Unternehmen als auch für Verbraucher:innen. Vermieter:innen haben hingegen häufig bereits jahrelang Profit mit ihren Objekten erwirtschaftet und sind nicht von diesen Einnahmen abhängig.

Bisher wurde angekündigt, dass die Gastronomie 75% ihres Umsatzes aus dem Vorjahr durch den Staat erhalten soll. Klingt erstmal gut. Ob es am Ende reicht, und vor allem, ob es unbürokratisch funktioniert, ist hingegen zweifelhaft. Die Entscheidungen der Ministerpräsidenten und der Bundesregierung haben einen starken Klassencharakter: auf der einen Seite werden die Vermögen der Milliardär:innen geschont und nicht angetastet, auf der anderen Seite sollen Menschen in vielen Wirtschaftsbereichen weiterarbeiten, um weiterhin profitabel zu sein. Dies führte zum Beispiel zur absurden Situation, dass das ohnehin obszön große Vermögen der Milliardär:innen in der Krise von 500 auf 590 Milliarden Euro gestiegen ist.

Demokratie stärken, nicht die Regierungen

Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie, das heißt Gesetze werden im Parlament diskutiert und beschlossen. Doch seit Beginn der Pandemie hat sich Deutschland zu einer Art Exekutiven-Verordnungsdemokratie entwickelt. Abgeordnete in den Parlamenten diskutieren nicht mehr über die Coronamaßnahmen in Gänze. Stattdessen werden die Maßnahmen in Video- und Telefonschalten zwischen dem Kanzleramt, dem Bundeskabinett sowie den Landesregierungen beschlossen. Abgeordnete erfahren dann aus der Presse oder aus Pressekonferenzen zum selben Zeitpunkt wie alle Bürger:innen von den Maßnahmenpaketen.

Dabei hätten wir in der Coronakrise die demokratische Partizipation stärken müssen. Denn die Debatte in der Öffentlichkeit, also im Parlament, hätte dazu geführt, dass sich die Regierenden öffentlich positionieren müssen, bevor sie ein Gesetz erlassen. Ja, auch im Parlament würden dieselben Mehrheiten entstehen, denn die Regierungen stellen ja hierzulande die Parlamentsmehrheit. Doch alleine die öffentliche Debatte führt zu einem veränderten Rechtfertigungsdruck und damit zu einem anderen Umgang mit der Krise.

Zudem hätten die Sommermonate erlaubt, dass sich Bürger:innenräte* gemeinsam mit Parlamentarier:innen und Wissenschaftler:innen zu verschiedenen Themen beraten und Vorbereitungen für eine zweite Welle treffen: Brauchen wir einen sofortigen Ausbau des digitalen Fernunterrichts für alle Schulen in NRW? Braucht es einen zweiten Lockdown? Welche Arbeit ist gesellschaftlich notwendig, so dass sie von einem Lockdown nicht betroffen sein darf? Welche Bedingungen sollte man an Corona-Hilfen knüpfen?

Das alles ist nicht geschehen. Stattdessen hat sich die Exekutive verselbstständigt und eine Verordnung nach der anderen verabschiedet, die alle nur die Rettung des Kapitals im Sinn haben, ohne die Ware Arbeitskraft allzu sehr zu beschädigen. Denn am Ende gilt für die Regierung nur eine Kennziffer: das Wirtschaftswachstum, nicht die Lebensqualität und die Gesundheit der Menschen.

*Anstelle von Expert:innenkommissionen, die gerne von bürgerlichen Parteien angeführt werden.

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