Fr. Mrz 29th, 2024

Warum wählen Leute die AfD?

Wenn wir die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in Klassen aufteilen, so ergeben sich drei grobe Bereiche, die an den Rändern ineinander übergehen und in sich zum Teil auch noch einmal in Schichten aufgeteilt werden können. Ich werde im Folgenden nicht immer von Klassen sprechen, auch wenn sie gemeint sind. Oft wird behauptet, wir hätten keine Klassengesellschaft mehr. Dem widerspricht sogar einer der größten Finanzgurus der Welt, Warren Buffett, mit seinem Satz: Es herrscht Klassenkampf, meine Klasse gewinnt, aber das sollte sie nicht.

Wir haben die so genannte Oberschicht, die oberste Klasse, deren Mitglieder zum größten Teil nicht bekannt sind (so lange sie nicht im Showgeschäft tätig sind, sich aus Werbe- oder anderen Gründen in der Öffentlichkeit produzieren oder durch Straftaten oder Skandale bekannt werden, zum Beispiel Klaus Zumwinkel, der ehemalige Chef der privatisierten Deutschen Post, der vorher bei der „Beraterfirma“ Mc Kinsey engagiert war, ebenso wie sein Nachfolger Frank Appel). Kaum jemand der Mittel- und der Unterschicht kennt jemanden aus der Oberschicht persönlich. Auch sind deren Einkünfte und Vermögenswerte normalerweise nicht bekannt. Hohe Managergehälter werden zwar manchmal in der Öffentlichkeit genannt und diskutiert, doch gehen die meisten Menschen nicht der Frage nach, was jemand, der 800.000 Euro im Jahr verdient, die er auf keinen Fall in einem Jahr ausgibt oder ausgeben kann, mit dem „Rest“ des Geldes macht. Und welche Anlagemöglichkeiten es weltweit gibt. Mit diesem „Rest“ des Einkommens wird wesentlich mehr Einkommen erzielt als mit dem regulären Einkommen. Frau Klatten, eine der Eigentümer von BMW (sie hat mit ihrem Bruder die Anteile geerbt), hatte daraus im Jahr 2018 einen Erlös von ca. 1 Million Euro. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn bekommt jährlich 990.000,– Euro.

Wen wählen die Reichen?

Nun kann das durchaus Neid erzeugen, aber es geht um die Frage: Was wählen solche Leute? Sie wählen wohl in der Hauptsache CDU/CSU, die FDP, in Ausnahmefällen SPD und auch die AfD, da diese – wie die anderen genannten Parteien – sowohl nach ihrer Satzung als auch durch sonstige Veröffentlichungen nicht beabsichtigt, das kapitalistische Wirtschaftssystem durch ein anderes zu ersetzen. Nachdem Hitler sich in Düsseldorf auf den Rheinterrassen den Vertretern der deutschen Wirtschaft präsentiert hatte, gab es keine Probleme mit diesen mehr. Ähnlich wird auch jetzt die entscheidende Oberschicht keine unüberbrückbaren Grenzen zur AfD haben. Jedenfalls haben sich Mitglieder dieser Klasse bisher am Kampf gegen AfD und Neonazis nicht erkennbar beteiligt.

In Zeiten der ökonomischen und politischen Krisen seit der großen Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2007/2008 begann (die „giftigen“ Papiere lagern immer noch in den Kellern der Banken und werden in den Bilanzen nicht aufgeführt, das heißt abgeschrieben), sind große Teile der beiden anderen Klassen, der Mittelschicht und der so genannten Unterschicht, kleine Selbständige, Angestellte, Arbeiter und Arbeitslose, sehr verunsichert. Viele leben mit Existenzängsten, wobei Angehörige der Mittelschicht „nach unten“ in die Unterschicht absteigen, Angehörige der Unterschicht in die Armut und die Obdachlosigkeit abgleiten können. Um davon ablenken zu können, dass diese Krise systembedingt ist und größtenteils von Mitgliedern der Oberschicht verursacht wurde, haben Parteien von der CDU bis zur AfD als Verursacher die Flüchtlinge, die nach Deutschland einwandern wollen, entdeckt. Damit wird den Menschen Angst, Existenzangst, eingejagt. Oft wird dabei nicht zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden. Der Begriff Wirtschaftsflüchtlinge ist negativ besetzt, obwohl es sich oft um Migrationsbewegungen handelt, die aus Hunger und Existenznot entstehen. Beide Arten der Fluchtbewegungen sind unter anderem durch die Wirtschafts- und Kriegspolitik der „reichen“ Staaten verursacht. Entsprechende Reaktionen gibt es nicht nur in Deutschland, zum Beispiel auch in Italien und Frankreich: Der Aufstand der Wähler, wie auch immer er sich äußert, durch Wahlenthaltung, durch Trotzwahlen, durch Hereinfallen auf die falschen Versprechungen von Parteien, zum Beispiel der AfD, durch große Demonstrationen oder Streiks, durch offenen Widerstand, wie in Frankreich (Gelbwesten) oder neuerdings durch die Jugendprotestbewegung „Fridays for Future“ weltweit, zeigt, dass ein wachsender Teil der Mittel- und Unterschichten „Nein“ sagt zur Sparpolitik, zu Freihandel, Schuldensystem, zu prekarisierten Arbeitsplätzen. Das Wahlverhalten ist dann subjektiv politische Gegenwehr gegen die objektiven politischen und wirtschaftlichen Bedingungen.

Inzwischen sind viele Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs zur Illusion geworden, waren es in Wirklichkeit vielleicht immer. Perspektivlosigkeit bei der Planung des Lebensweges erzeugt irrationales Handeln und Verhalten, zum Beispiel die Wahl der AfD oder das Sichanfreunden mit rechtextremen politischen Vorstellungen und Schuldzuweisungen.

Wie die Gesellschaft mit den Rechten umgeht

Dank der überwiegend von Mitgliedern der Oberschicht produzierten Medien und Meinungen wird der Blick nach links und nach anderen, emanzipatorischen Möglichkeiten täglich und ständig verstellt. Mitglieder der AfD werden zunehmend zu politischen Gesprächsrunden eingeladen und genießen damit eine gewisse Normalität, während bekennende Sozialisten gemieden werden. Teilen wir die Mittelschicht wiederum in drei Schichten auf, in die obere, die mittlere und die untere Mittelschicht, so ähneln die Verhaltensweisen der unteren Mittelschicht oft denen der Unterschicht, die der oberen Mittelschicht denen der Oberschicht (Nachahmungstendenzen und Aufstiegsvorstellungen). Die relativ breite mittlere Mittelschicht repräsentiert dann in gewissem Sinne die eigentlich oft angesprochene Mehrheit der (wählenden) Bevölkerung. Aus ihr besteht auch ein großer Teil der so genannten Zweidrittelgesellschaft, der es noch relativ gut geht (siehe Flug- und Schiffsreisen, Auto-Verkaufszahlen).

Aber hier gibt es einerseits die schon erwähnten Existenz- und Abstiegsängste, da der Kapitalismus im Rahmen des Neoliberalismus seit 1990 zunehmend rigoroser und rücksichtsloser vorgeht. Wahrscheinlich aus Gründen der Hilflosigkeit und des Inaktivismus tendieren inzwischen auch viele Intellektuelle, die wir der mittleren und oberen Mittelschicht zurechnen wollen, zur geistigen Annäherung an rechtsextreme und faschistoide Tendenzen. Zu einem gewissen Irrationalismus, der die Ursachen von Bewusstseinsverzerrungen nicht analysiert, sondern als angeblich unhinterfragbaren Tatbestand sieht. Indem solche Erscheinungen des Postmodernismus sich mit Anschauungen der modernen Rechten mischen, werden auch Parteien wie die AfD stärker in diesen Kreisen akzeptierbar. Die politische Dummheit sonst intelligenter Menschen wird uns aber beim Kampf gegen den neuen Faschismus nicht helfen.

Die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse

Gemeinsam haben postmodernes, irrationales Denken und faschistoides Denken die Ablehnung von Gleichheitsvorstellungen und die Absage an die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Dass Letzteres möglich und unbedingt nötig ist, sollten die Generationen nach 1945 allerdings gelernt haben. Zumindest hatten sie die Möglichkeiten dazu. Dass „die kleine Schwedin“ im Zusammenhang mit der Klimakrise (Wirtschafts- und Finanzkrise) gesagt hat, wenn die Veränderungen nicht im herrschenden System möglich wären, bräuchten wir ein anderes System, lässt hoffen.

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