Mi. Mai 8th, 2024

Vor hundert Jahren – Die Rote Armee an der Ruhr

Der größte Aufstand, den Deutschland seit den Bauernkriegen erlebt hatte, sollte zugleich die letzte größere proletarische Erhebung bleiben. Im März 1920 griff die Arbeiterschaft im Ruhrgebiet zu den Waffen; sie begründete eine Rote Armee, drängte die Reichwehr aus dem Revier und übernahm die militärische Kontrolle. Erfolgreich konnte, sollte, würde die Insurrektion nicht sein, aus geschichtswissenschaftlicher Betrachtung gilt sie als weitgehend vergessen.

Während zeitgleich die von Leo Trotzki geführte Rote Armee in Russland zermürbende Kämpfe gegen zaristische, national-konservative und andere Kräfte führte, verpufften die revolutionären Kämpfe an der Ruhr weitgehend wirkungslos. Stand am Ende des russischen Bürgerkrieges die Gründung der Sowjetunion, triumphierte bereits im April 1920 der weiße Terror der Reichswehrtruppen im Ruhrgebiet.1 Die Rachsucht der Militärs war legendär, Nachsichtigkeit war ihre Sache nicht.

Ein Blick zurück: Nachdem die radikale Rechte am 13. März 1920 die Reichsregierung für abgesetzt erklärt hatte, floh diese aus Berlin nach Stuttgart (Kapp-Lüttwitz-Putsch). Die Putschisten forcierten eine „neue Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat“, was auf eine kaum verdeckte Militärdiktatur hinauslaufen sollte.

Der Staatsstreich war jedoch schlecht vorbereitet, er verlief weitgehend dilettantisch und wurde von der Verwaltungsbürokratie umfänglich ausgebremst. Nur zwei Tage nach der Ausrufung eines reichsweiten Generalstreiks am 15. März war der Spuk beendet, an der Ruhr allerdings war kein Halten mehr. Die Arbeiter weiteten den Streik zur offenen Revolte gegen die Republik aus.

Was anfänglich eine Reaktion gegen die Reaktion war, geriet schnell zu einer überraschend erfolgreichen militärischen Unternehmung. Nach unterschiedlichen Schätzungen wuchs die Rote Armee rasch auf 80.000 bis 100.000 Mann an und drängte die Reichswehr zwischen dem 18. und dem 21. März bis hinter Wesel und Dinslaken zurück. So außerordentlich die Kampfbereitschaft war, so unstrukturiert war der organisatorische Apparat dahinter. Mit Essen, Mülheim und Hagen besaß die Bewegung gleich drei Kommandozentralen, die kaum bis gar nicht koordiniert agierten.2 Dies führte zu einem spontan entstandenen paramilitärischen Gebilde von ausgeprägter politischer Uneinheitlichkeit, unfähig auch zur Ausrufung einer Räterepublik.

Obschon die Arbeiterschaft zu jenem Zeitpunkt bereits in beachtlichem Maße gewerkschaftlich wie partei-politisch organsiert war, agierte sie oftmals zusätzlich in syndikalistischen Gruppen, weshalb die FAU beispielsweise zu den treibenden Kräften der Ruhrkämpfe gehörte. Nach zeitgenössischen Schätzungen verteilte sich die Parteizugehörigkeit der Aufständischen zu etwa 60 Prozent auf die USPD, 10 Prozent gehörten der SPD an und immerhin 30 Prozent der KPD.3

Obwohl dies als nennenswerter Anteil betrachtet werden muss, verhielt sich die KPD-Zentrale doch erstaunlich zögerlich und erklärte, dass sie sich angesichts des Fehlens einer ausreichenden militärischen Macht eher in der Rolle einer „loyalen Opposition“ gegenüber der sozialdemokratischen Regierung sieht. Die Zentrale sandte Wilhelm Pieck nach Hagen, der dort am 26. März zur Mäßigung aufrief. Er befürchtete unnützes Blutvergießen, „wenn man im Ruhrgebiet die Kämpfe weiter zu treiben versuche, als es der revolutionären Gesamtlage im Reiche entspreche“.

In das gleiche Horn blies der KPD-Vorsitzende Paul Levi zwei Tage später, als er sich auf einer Räteversammlung in Essen den Unmut der kämpfenden Genossen und Syndikalisten zuzog.4 Der Blutzoll der Jahre 18/19 war erheblich gewesen, viele Funktionäre waren kampfesmüde und ausgezehrt. Die stetigen Gegensätzlichkeiten zwischen den kämpferischen linken Kommunisten auf der einen und ihrer zögerlich-bedachtsamen Zentralebene auf der anderen Seite aktualisierten sich so neuerlich.

Einzig in Sachsen kam es Mitte März zu einer namhaften und solidarischen Erhebung, als sich Mitte März eine Vogtländische Rote Garde zur Entlastung der Aufständischen im Ruhrgebiet formierte. Treibende Figur war der Falkensteiner Kommunist Max Hoelz, der zuvor schon steckbrieflich gesucht wurde, weil er einen Arbeitslosenrat mitbegründete, der von der Obrigkeit Arbeitslosenunterstützung, eine Witwen-Rente oder Brennmaterial einforderte. Dabei waren er und seine Genossen nicht zimperlich gewesen, sie wussten ihre Forderungen mit Gewalt, aber eben auch recht erfolgreich durchzusetzen.

Während der März-Kämpfe gelang es ihm, zahlreiche Kommunisten aus dem Landesgerichtsgefängnis in Plauen zu befreien, später drohte er der besitzenden Klasse mit Zerstörung von Betrieben, Villen und Staatsbauten, falls reaktionäre Truppen ins Vogtland einmarschierten.5 Da aber genau das passierte, zogen sich die Rotarmisten am 11. April hinter die tschechische Grenze zurück. Den Großteil der zwanziger Jahre verbrachte Hoelz in diversen Zuchthäusern, nach seiner Emigration in die Sowjetunion kam er dort im September 1933 unter ungeklärten Umständen ums Leben. Eine Mitwirkung des sowjetischen Geheimdienstes gilt als wahrscheinlich.6

Die kämpfenden Arbeiter im Westen sollten allein bleiben; niemand stand ihnen bei, als die neu sortierte Reichswehr ab dem 3. April die Rückeroberung des Ruhrgebiets vollzog. Eingedenk der rundweg isolierten Lage reduzierte sich der anfänglich revolutionäre Impetus schlagartig, weshalb der Widerstand binnen Tagen gebrochen werden konnte. Am 4.4. fiel Mülheim, am 5.4. Dortmund und am 6.4. Gelsenkirchen – die Armee war wieder Herr der Lage und vergalt die Gewalt der aufständischen Arbeiter mit noch größerem Terror. 7 Obschon die historische Situation mutmaßlich nicht mehr hergab, stellen die inneren Auseinandersetzungen zwischen Rhein und Ruhr im Frühjahr 1920 eine erste Blaupause für spätere Bruderkriege innerhalb der revolutionären Linken dar.

Es ist bislang wenig erforscht, wieweit sich strukturelle Zerrissenheit und Uneinigkeit, Graben- und Flügelkämpfe, Partikularismus und mangelnde Entschlossenheit, die zur Tragik kommender linker Katastrophen gehören sollten, bereits in der Niederschlagung der Roten Armee manifestieren lassen. Unstrittig ist, dass es bis heute so gut wie kein offizielles Gedenken an diese bewegten Tage gibt. Da machen sich sämtliche Kommunen an der Ruhr einen schlanken Fuß.

Quellen:

1 Siehe: R. Rocker in „Der Syndikalist“, 2. Jahrgang (1920), Nr. 16

2 Siehe: E. Brauer: „Der Ruhraufstand von 1920“, Berlin 1930

3 Siehe: G. Colm: „Beitrag zur Geschichte und Soziologie des Ruhraufstandes“, Essen 1921

4 Siehe: ebenda

5 Siehe: M. Behrendt: „Max Hoelz – der rote Rebell“, SoZ, Köln, September 2003

6 Siehe: A. Peschel in: Sächsische Biografie, Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., 2014

7 Siehe: H.M. Bock: „Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 -1923“, Meisenheim 1969

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