Di. Mrz 19th, 2024

Jetzt wird‘s teuer?

Verkehrswende über den Geldbeutel

Im letzten Jahr wurde das Verkehrsrecht auf Bundesebene geändert. Neben einigen Verbes­serungen für den Radverkehr gibt es auch neue Regelungen für das Abstellen von Autos, die jetzt z.B. unter Umständen nicht mehr fünf Meter, sondern sogar acht Meter bis zu einer Kreuzung (gemessen bis zum gedachten Scheitelpunkt der Fahrbahnbegrenzung) Platz las­sen müssen. Wer in Essen davon noch nichts mitbekommen hat, muss sich nicht wundern. Der Verstoß gegen diese die Fußgänger:innen schützende Änderung wird wohl genauso wenig geahndet werden wie das Halten und Parken auf Gehwegen oder auf Baumscheiben – obwohl beides nach altem und neuem Straßenverkehrsrecht schlicht eine Ordnungswidrig­keit und also mit Ordnungs- bzw. Bußgeld bewehrt ist.

Es gibt aber noch eine andere womöglich ziemlich bedeutsame Änderung, die ein bisschen unter dem Radar geflogen ist: Die Kosten des Parkens im öffentlichen Raum.

Obwohl die „Gebührenordnung Straßenverkehr“ (GebOSt; https://www.gesetze-im-internet.de/stgebo_2011/BJNR009800011.html) in Nummer 265 immer noch sagt, dass für das „Ausstellen eines Parkausweises für Bewohner“ jährliche Gebühren in Höhe von „10,20 bis 30,70 Euro“ erhoben werden dürfen, überführt das „Straßenverkehrsgesetz“ (StVG) die Regelungskompetenz nun an die Länder. In § 6a Abs. 5a steht: „Für das Ausstel­len von Parkausweisen für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraumman­gel können die nach Landesrecht zuständigen Behörden Gebühren erheben. Für die Festset­zung der Gebühren werden die Landesregierungen ermächtigt, Gebührenordnungen zu er­lassen. In den Gebührenordnungen können auch die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, de­ren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden. In den Gebührenordnungen kann auch ein Höchstsatz festgelegt werden. Die Ermächtigung kann durch Rechtsverordnung weiter übertragen wer­den“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stvg/BJNR004370909.html).

Den letzten Satz dieser neu geschaffenen Regelung nutzt die Landesregierung, die keine ei­gene Regelung erlassen wird, sondern durch Rechtsverordnung diese Regelungskompetenz an die Kommunen weiterreicht (wie aus der Antwort der Landesregierung auf eine kleine An­frage des Abgeordneten Arndt Klocke hervorgeht; vgl. https://opal.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-12413.pdf).

Der Ball liegt also demnächst im Feld der Kommunen und damit auch in Essen.

Was könnte das bedeuten? Zunächst gar nichts. Die Stadt Essen hat vor einiger Zeit aufge­hört, weitere „Bewohnerparkzonen“ auszuweisen, weil die personellen Ressourcen in der Verwaltung erschöpft seien (vgl. https://www.essen.de/leben/mobilitaet/faq__bewohnerparken.de.html). Ohne Bewohnerparkzonen aber keine Bewohnerparkausweise und letztlich auch keine Bewirtschaftung des knappen öffentlichen Raums. Wo Bewohner­parkzonen eingerichtet sind, werden aktuell je Auto 30,- Euro im Jahr fällig (egal wie groß das Auto ist, egal wie viele Autos es im Haushalt gibt, egal wie gut die Parkkünste sind).

Sollte sich die Stadt aber entscheiden, die neu geschaffene Möglichkeit zu nutzen, könnte daraus ein erheblicher Impuls hin zu höheren Parkgebühren entstehen … die Kassen sind leer, neue Einnahmen sind da nicht ganz unattraktiv.

Was wollen wir? Einerseits haben wir uns längst eindeutig positioniert – für die Verkehrswen­de! Die kann aber nur funktionieren, wenn wir uns ehrlich machen: Sie bedeutet schlicht ein Ende der Privilegien, die das Auto weithin genießt. Andererseits sind wir strikt gegen jede Politik über den Geldbeutel. Wir lehnen es ab, einer Sache einfach nur einen Preis zu ver­passen und daran zu glauben, dass damit ein wirksamer Impuls gesetzt wird, die gewünsch­ten Änderungen zu erzielen. Die Energieeinsparverordnung und die CO2-Steuer sind zwei Beispiele für dieses Politikverständnis. Wer es sich leisten kann, ist fein raus, alle anderen müssen sehen, wo sie bleiben. Diese Form der Politik lehnen wir ab, weil sie sozial blind ist und ökologisch sinnvolles Verhalten zu einem kostspieligen Lifestyle für Wohlhabende macht.

Aber – und das ist wichtig: Wir kommen nicht umhin, deutlich zu sagen, dass wir die Fortset­zung einer Politik, die den PKW zur heiligen Kuh macht, für falsch halten. Die gesellschaftli­chen Kosten des PKW (ganz unabhängig davon, ob mit Otto-, Diesel- oder Elektromotor) sind so hoch, dass wir diese Politik beenden müssen. Und – nur damit das gesagt ist: Der größere Teil der entstehenden Kosten wird erstens nicht von den Autofahrer:innen und Auto­halter:innen bezahlt, sondern aus dem allgemeinen Steuer- und Sozialhaushalt, also von allen Menschen, unabhängig davon, ob sie ein Auto haben oder fahren oder eben nicht. Und zweitens sind die Kosten gerade für die Menschen am höchsten, die kein Auto haben oder jedenfalls kein großes, das überdurchschnittlich oft als Firmenfahrzeug doppelt subventio­niert wird (z.B. über das Dienstwagenprivileg oder die Dieselsubventionen). Das System ist also steuerlich, finanziell, ökologisch und nicht zuletzt sozial zutiefst ungerecht und begüns­tigt fortwährend die sowieso Begünstigten.

Wir wollen den Umweltverbund massiv stärken, also Busse und Bahnen viel attraktiver und vor allem erschwinglicher machen – die Kosten für die Nutzung des ÖPNV sind in den ver­gangenen Jahren sehr viel stärker gestiegen als für PKW, so dass ganz falsche Signale ge­sendet wurden.[1] Zum Umweltverbund gehören auch Fuß- und Radverkehre. Der Radverkehr genießt seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit, die er verdient und wir sind froh, dass endlich Geld in die notwendige Infrastruktur gesteckt wird. Der Fußverkehr gerät dabei aber immer mehr aus dem Blick. Damit der „Verkehr“ (gemeint ist der PKW- und LKW-Verkehr) besser fließen kann (und seinen lokalen Schadstoffausstoß ein wenig reduziert), müssen Fußgän­ger:innen noch länger an roten Ampeln warten. Die Corona-Krise hat vor allem zu einer mas­siven Verschlechterung des ÖPNV geführt und noch mehr Menschen dazu bewegt, sich ein Auto anzuschaffen. Die Zahl der zugelassenen PKW klettert daher von Rekord zu Rekord.[2] Die im öffentlichen Raum abgestellten Autos nehmen dann vor allem den Fußgänger:innen den Platz weg.

Deshalb sagen wir: Politik muss deutlich kommunizieren, wohin die Reise geht – nämlich hin zum Umweltverbund und weg vom Auto. Der Umweltverbund muss viel besser werden. Und dann darf das Auto auch teurer werden. „Agora Verkehrswende“ geht davon aus, dass die Bereitstellungskosten eines Stellplatzes am Straßenrand bei 220,- Euro im Jahr liegen (vgl. https://www.agora-verkehrswende.de/fileadmin/Projekte/2018/OEffentlicher_Raum_ist_mehr_wert/Agora-Verkehrswende_oeffentlicher-Raum_Factsheet_Auflage-3_WEB.pdf). Das kann als Größenordnung für eine sich selbst finanzierende Infrastruktur begriffen werden. Die in Essen damit zu realisierenden Mehreinnahmen von 190,- Euro pro Jahr und PKW sollten zweckgebunden in die zusätzliche Finanzierung des Umweltverbundes fließen.

Praktisch heißt das, dass alle Quartiere, in denen der Platz knapp ist (und das dürften alle zentralen Bereiche sein), bewirtschaftet werden. Bewohnerparkausweise für die, die dort wohnen, und teure Kurzzeitparkmöglichkeiten für alle anderen. Selbstverständlich muss das dann auch konsequent geprüft werden. Hinzukommt die konsequente Ahndung von ord­nungswidrigem Halten und Parken (z.B. auf Flächen, die dem Rad- oder Fußverkehr gewid­met sind). Zugleich erfolgt die Reduzierung von insgesamt angebotenen und bereitgehalte­nen Stellplätzen. Die frei werdenden Flächen werden für alle anderen Zwecke des urbanen Lebens umgenutzt: geschützte Fahrradabstellflächen, Grünflächen (sog. Taschenparks), breitere und bessere Gehwege, geschützte Spiel- und Bewegungsflächen für kleine und große Kinder, Begegnungszonen für die Menschen ohne Konsumzwang, Außengastronomie und nicht zuletzt mehr Platz für Busse und Bahnen.

Wer jetzt Schnappatmung kriegt und den Untergang des Abendlandes befürchtet, mindes­tens aber das Ende unserer ökonomisch leidlich erfolgreichen Stadt, dem sei gesagt, dass es eine Stadt gibt, die genau diesen Weg gegangen ist. Wien, die Stadt, die regelmäßig zur attraktivsten und zur lebenswertesten Stadt überhaupt gekürt wird, hatte den Mut zu sagen: Unsere Stadt gehört den Menschen, die hier leben und arbeiten, den Menschen, die uns besuchen und eine gute Zeit mit uns haben, nicht den Autos, die uns den Platz wegnehmen; die Zahl der Stellplätze wurde stark reduziert, die verbleibenden erheblich verteuert. Und heute? Heute gibt es eine übergroße Mehrheit, die das gut findet … und sogar Einzelhandel und Gastronomie profitieren. Mission impossible? Keineswegs! Mission accomplished!


[1] Umweltbundesamt (UBA): „Verkehrswende für alle“, August 2020, S. 15: Zwischen 2000 und 2018 sind die Preise für Kauf und Unterhalt eines Kfz um 36% gestiegen, die Preise für die Nutzung des ÖPNV aber um fast 79% und damit um mehr als das doppelte.

[2] Jedes Jahr wächst der PKW-Bestand in Deutschland um 500.000 bis 700.000! Bei insgesamt bestenfalls stagnierender Wegezahl pro Tag steigt die Verkehrsleistung (nimmt also die Zahl der Personenkilometer zu). Die zusätzlichen Kilometer werden überwiegend mit dem PKW zurückgelegt (vgl. Agora Verkehrswende 2020: Baustellen der Mobilitätswende; siehe auch: MiD 2017).

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